Paradiesäpfel im Gottesgarten
- 15. Juni 2020, 09:55 Uhr
- Von Christoph Winter
- Lesedauer: 4 min
Glatt und rund hängen sie an der Rispe – Tomaten. Aber diese Sorte im Garten von Helga Dressel hat eine kräftige braune Farbe, anstatt des gewohnten Rot. Bestimmt sind diese Exemplare noch nicht reif, vielleicht faul oder von einer Krankheit befallen. „Nein!“, sagt Helga Dressel. „Das ist eine Schokoladen-Perle und stammt aus Tunesien.“ Behält man die Früchte etwas länger im Mund, macht sich ein Hauch von Nougat bemerkbar. „Diese Tomate überzeugt auch ‚Tomatenhasser’“, lächelt die Grundfelderin. Tomaten müssten nicht immer rot sein.
Helga Dressel weiß, wovon sie spricht: Seit einem viertel Jahrhundert sammelt sie Tomaten aus aller Herren Länder, kultiviert die verschiedenen Arten, wobei es in erster Linie die alten Sorten sind, die im Garten wachsen. Immerhin sind in den vergangenen Jahren 285 verschiedene Sorten von Tomaten zusammengekommen. Viele davon wachsen auf dem 850 Quadratmeter großen Grundstück der Familie Dressel am Rand von Grundfeld.
Im Sommer, zur Erntezeit, fallen die roten Früchte allein durch ihre große Anzahl dem Besucher auf. Dazwischen aber gibt es immer wieder exotische Tomaten zu bestaunen. Etwa die Bosque blue. Diese Tomate hat ein großes Farbspektrum: lila, mal rötlich und dann wieder Früchte mit grünen Einsprengseln. „Diese Tomatensorte ist nur etwas für’s Auge, etwa als optischer Leckerbissen im Tomatensalat“, erklärt die Fachfrau in Sachen „Paradeiser“. So wird die Tomate in Österreich und in Südtirol genannt. Für sich verzehrt, schmecke die Bosque blue nach Nichts.
Schon als Kind hat Helga Dressel gerne im elterlichen Garten mitgearbeitet. „Dort habe ich auch noch einige Töpfe mit Tomaten stehen.“ Schnell kam sie auf den Geschmack und seither bestimmen Tomaten den Jahresablauf und auch den Speisezettel. Angehörige, Freunde und Bekannte verzichten schon lange auf die typischen Reisemitbringsel. Stattdessen sind es Tomaten, die so den Weg an den Obermain finden. Helga Dressels Tochter etwa brachte aus Neapel eine San Marzano mit. „San Marzano dürfen nur Tomaten aus Neapel heißen, stammen sie aus dem Hinterland, dann tragen sie den Namen Marzano, ohne den heiligen Zusatz.“ Von den Tomaten sammelt Helga Dressel die Kerne und zieht daraus neue Pflanzen. „Ich will die alten Sorten bewahren“, beschreibt sie ihre Motivation. Aus den Kernen der allgegenwärtigen Massentomaten neue Pflanze zu ziehen, funktioniert übrigens nicht. „Das sind sogenannte F1-Hybride. Die kann man aus Kernen nicht nachziehen, da diese in ihre Ursprünge zerfallen. Diese Tomatensorten müssen immer wieder vom Züchter neu gekreuzt werden.“
Mit ihrer Leidenschaft hat sie beträchtlichen Erfolg. So gibt es im Garten eine sogenannte „Reisetomate“ zu bestaunen und zu probieren. Diese alte Sorte präsentiert sich zwar im typischen Tomatenrot, erinnert aber mit ihrem zerklüfteten Aussehen mehr an eine Knoblauch-Zwiebel. „Im Zeitalter der Pferdekutschen konnte man sich eine ‚Zehe‘ abbrechen, der Rest der Frucht blieb für später erhalten“, beschreibt Dressel die Herkunft des Namens „Reisetomate“ und die Besonderheit. Dann gibt es auch noch die „Edith Bernhardt“, die Helga Dressel auf einem Markt in Paris gekauft hat. Der Geschmack der gelb-braunen Tomate erinnere an eine Pellkartoffel. Die „Kobalt-Beere“ zeigt sich grün-violett gefärbt wenn sie noch nicht reif ist. „Rot und bunt wird diese Sorte später. Dann ist es an der Zeit, sie zu ernten.“
„Meine Tomaten sind meine Rosen“, stellt Helga Dressel fest. So war auch der Titel der Facharbeit an der Gartenakademie Veitshöchheim. Dort hat sie eine Ausbildung zur Gästeführerin absolviert. Von der Geschichte des Tomatenanbaus in Europa, über die Herkunft bis hin zur Zucht und Verarbeitung reichte die Recherche. Ihren Ursprung hat die Tomate in Mittelamerika, wo sie von den Mayas und Azteken kultiviert wurde. In den Sommermonaten, etwa von Ende Juli bis August, gibt Helga Dressel Hobbygärtnern und Tomatenliebhabern nach Anmeldung Einblick in ihren Garten in der Grundfelder Schönthalstraße. In etwa 90 Minuten erfährt man dabei, dass in früheren Zeiten die Menschen Saatgut im Futter des Hutes eingenäht hatten. „Gab es eine Feuersbrunst oder man musste vor Überfällen fliehen, war wenigsten das Saatgut gerettet, denn ohne Hut ging damals niemand aus der Hütte.“
1692 seien Tomaten zum ersten Mal in einem italienischen Kochbuch erwähnt worden. Seither habe sich die Frucht zum beliebtesten Nahrungsmittel weltweit entwickelt. Um praktische Tipps für eine ertragreiche Tomatenernte im eigenen Garten ist sie selbstverständlich nicht verlegen. „Tomaten sind wie Frauen. Sie wollen nicht mit nassen und kalten Füßen ins Bett“, sagt sie verschmitzt. Die Eselsbrücke erinnert aber nur daran, dass Tomatenpflanzen abends nicht gegossen werden sollten. „Das kühlt den Boden aus.“ Auch für Streicheleinheiten seien Tomaten empfänglich. Berühre man die Blätter, würden Hormone freigesetzt. „In Spanien geschieht das maschinell. Dort sind Besen auf Anhängern montiert, die durch die Felder fahren.“ Die Blätter der Tomatenpflanze sind für den Geschmack der Früchte wichtig. In der Wachstumsphase müssen überschüssige Blätter entfernt werden. Durch das Ausgeizen trocknet die Pflanze schneller ab.
Neben den Tomaten sind im Dresselschen Garten auch jede Menge Kräuter zu finden. Verschiedene Tomaten brauchen verschiedene Kräuter. Jede Gartenführung endet mit einer ausgiebigen Verkostung von Tomaten und den selbst hergestellten Produkten. Ganz wichtig: Alle grünen Pflanzenteile bei reifen Tomaten sind für den Verzehr tabu, darin enthalten ist das hochgiftige Atropin.
Aus der tunesischen Schokoperle kreiert Helga Dressel mit schwarzer Johannisbeere und etwas Kakao einen süßen Brotaufstrich. „Tomaten sind kein Gemüse, es ist eine Frucht.“ Jede Menge Rezepte und Produkte für und von Tomaten hat Helga Dressel vorrätig. Eines davon ist der „Tomaten-Röster“. 48 Stunden werden die Früchte im Bratrohr eingedickt und Kräuter kommen hinzu. „Mehr wird aber nicht verraten, das bleibt mein Geheimnis.“
Führungen nach Anmeldung:
in der Zeit zwischen Ende Juli und Ende August (bei trockenem Wetter) unter Telefon 0 95 71 / 717 83, oder E-Mail: schoenthalgarten@web.de, sechs bis 14 Personen, Dauer etwa 90 Minuten, Schönthalstraße 22, 96231 Bad Staffelstein / Grundfeld.
Bildmaterial © Christoph Winter